Tumoren von Drüsen mit endokriner Sekretion sind u. a. im Rahmen folgender genetisch bedingter Erkrankungen beschrieben:
Multiple Endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN1)
Die Multiple Endokrine Neoplasie (MEN) Typ 1 (auch „Wermer-Syndrom“) ist gekennzeichnet durch das Auftreten verschiedener gut- und bösartiger Tumoren. Bei ca. 90 % aller Patienten mit MEN1 treten Nebenschilddrüsenadenome, bei 30 – 70 % gastro-entero-pankreatische Tumore, bei 30 – 40 % Hypophysenadenome sowie weitere assoziierte Tumore (40 % adrenokortikale Tumore, 85 % Angiofibrome u. a.) auf.
Die Behandlung erfolgt je nach Symptomatik chirurgisch und/oder medikamentös bzw. ggf. mittels strahlentherapeutischer und/oder nuklearmedizinischen Therapieverfahren.
Die Multiple Endokrine Neoplasie Typ 1 wird autosomal-dominant vererbt. Die altersabhängige Penetranz liegt bei 50 % im Alter von 20 Jahren und bei 95 % im Alter von 40 Jahren. Das einzig ursächlich bekannte Gen für die Multiple Endokrine Neoplasie Typ 1 ist das MEN1-(Menin-) Gen.
Multiple Endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN2)
Bei der Multiplen Endokrinen Neoplasie Typ 2 werden drei Subtypen unterschieden: MEN 2A (auch „Sippel-Syndrom“) als häufigste Form, FMTC (familial medullary thyroid carcinoma) und MEN 2B. Bei allen drei Typen besteht ein hohes Risiko für medulläre Schilddrüsenkarzinome (medullary thyroid carcinoma, MTC: etwa 95 % der Patienten bei MEN 2A und nahezu 100 % der Patienten mit MEN 2B und FMTC). Bei MEN 2A und MEN 2B liegt zusätzlich ein erhöhtes Risiko (etwa 50 % der Patienten) für Phäochromozytome vor. Bei 20 bis 30 % der Patienten mit MEN 2A werden darüber hinaus Adenome oder Hyperplasien der Nebenschilddrüsen mit Hyperparathyreoidismus beobachtet.
MTC treten bei MEN 2B typischerweise in der frühen Kindheit, bei MEN 2A-Patienten im jungen Erwachsenenalter und bei Patienten mit FMTC im mittleren Erwachsenenalter auf.
Das MEN2-Syndrom wird autosomal-dominant vererbt. Es liegen heterozygote „gain-of-function“- Mutationen im RET-Protoonkogen zugrunde.
Genotyp-Phänotyp-Korrelationen sind bekannt, so dass sich die therapeutische Strategie, Vorsorgeempfehlungen und die Empfehlung für oder gegen prophylaktische Operationen unter Berücksichtigung des Alters von Patienten bzw. Risikopersonen an der jeweils nachgewiesenen Mutation orientieren.
Multiple Endokrine Neoplasie Typ 4 (MEN4)
Ein der MEN1 ähnliches Tumorspektrum zeigt das MEN4-Syndrom, für das u. a. Nebenschilddrüsenadenome, Hypophysenadenome sowie pankreatische endokrine Tumore, papilläre Schilddrüsenkarzinome und neuroendokrine Zervixkarzinome beschrieben sind. Das MEN4-Syndrom wird autosomal-dominant vererbt und beruht auf heterozygoten Mutationen im CDKN1B-Gen.
Hereditäres Paragangliom-Phäochromozytom-Syndrom
Beim Hereditären Paragangliom-Phäochromozytom-Syndrom besteht neben der Neigung zu Paragangliomen ein erhöhtes Risiko für Phäochromozytome. Bei 20 – 70 % der familiären Fälle werden Mutationen in den Genen SDHD, SDHB oder SDHC nachgewiesen. Seltener werden Mutationen in den Genen SDHAF2, SDHA, MAX und TMEM127 gefunden. Für weitere Gene (z. B. KIF1B und EGLN1) ist ein Zusammenhang bisher nicht gesichert.
Das Hereditäre Paragangliom-Phäochromozytom-Syndrom wird autosomal-dominant vererbt mit altersabhängiger Penetranz, variabler Expressivität und einem von mütterlicher/väterlicher Vererbung der Mutation abhängigen Erkrankungsrisiko („parent-of-origin“-Effekt).
Paragangliome und Phäochromozytome treten z. B. auch bei Patienten mit Von-Hippel-Lindau-Syndrom (Mutationen im VHL-Gen) oder Neurofibromatose Typ 1 (Mutationen im NF1-Gen) auf.
Weitere Erkrankungen
Endokrine Tumore sind u. a. auch im Rahmen folgender weiterer Erkrankungen beschrieben: Tumore der Nebennierenrinde (adrenokortikale Karzinome) beim Li-Fraumeni-Syndrom (TP53-Mutationen), Hyperparathyreoidismus bei Mutationen in den Genen CASR oder CDC73, Hypophysentumore bei Mutationen in den Genen AIP oder PRKAR1A.
Aufgrund des erhöhten Tumorrisikos vieler der o. g. Erkrankungen werden für Mutationsträger teilweise spezielle Früherkennungsuntersuchungen und ggf. prophylaktische Operationen empfohlen.
Quellen
Ferreira et al. Cancer Manag Res. 2013 May 8;5:57-66, Khatami and Tavangar Biomark Insights 2018 Jul 2;13, Martucci and Pacak Curr Probl Cancer. 2014 Jan-Feb;38(1), Norton et al. Surg Oncol Clin N Am. 2015 Oct;24(4), Thakker et al. Clinical Practice. J Clin Endocrinol Metab, 2012, 97(9)2990-3011, Gene-Reviews, OMIM
Autor: Klinische Kompetenzgruppe Onkologie