Etwa 1,1 % aller Frauen und 1,7 % aller Männer erkranken in Deutschland im Laufe des Lebens an Magenkrebs. Bei etwa 10 % der Patienten sind weitere Familienangehörige ebenfalls betroffen. Es ist bereits lange bekannt, dass bestimmte äußere Risikofaktoren das Auftreten eines Magenkarzinoms begünstigen können. In erster Linie ist hier eine chronische Entzündung des Magens zu nennen, die häufig durch eine Besiedelung des Magens mit dem Bakterium Helicobacter pylori verursacht wird. Daneben spielen auch Ernährungsfaktoren und das Rauchen eine Rolle bei der Entstehung von Magenkrebs. Da Familienangehörige häufig auch äußere Risikofaktoren teilen, kann dies ein familiäres Auftreten der Erkrankung zumindest zum Teil erklären.
Ein Teil der familiären Magenkarzinome ist jedoch auf eine einzelne genetische Veränderung innerhalb der Familie (sog. monogene Vererbung) zurückzuführen. Beim Vorliegen eines solchen erblichen Tumorsyndroms besteht eine gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutliche Risikoerhöhung, die weitgehend unabhängig von äußeren Risikofaktoren ist. Diese erblichen Tumorsyndrome werden in der Regel autosomal-dominant vererbt, weshalb Geschwister und Kinder der Betroffenen ein Risiko von 50 % haben, die ursächliche genetische Veränderung und damit das erhöhte Tumorrisiko ebenfalls zu tragen.
Erbliches diffuses Magenkarzinom
Das bekannteste erbliche Magenkarzinom-Syndrom ist das Erbliche diffuse Magenkarzinom (Hereditary diffuse gastric cancer, HDGC), bei dem ein deutlich erhöhtes Risiko für diffuse Magenkarzinome oder Siegelringkarzinome besteht. Betroffene Frauen haben zudem ein deutlich erhöhtes Risiko für lobuläre Mammakarzinome. Hinweise auf das Vorliegen dieses erblichen Tumorsyndroms ergeben sich insbesondere dann, wenn ein Patient verhältnismäßig jung an einem diffusen Magenkarzinom erkrankt oder mehrere zu diesem Syndrom passende Tumore bei einer Person oder in einer Familie aufgetreten ist. Bislang wurden nur Mutationen im CDH1-Gen, sehr selten auch im CTNN1A-Gen, als Ursache für das HDGC beschrieben. Allerdings ist auch in Familien, welche die klinischen Kriterien für das HDGC erfüllen, die Mutationsdetektionsrate mit ca. 30 – 50 % relativ gering. Eine Assoziation mit weiteren Genen konnte bislang nicht sicher belegt werden.
Magenkarzinome im Rahmen anderer erblicher Tumorsyndrome
Ein erhöhtes Risiko für Magenkarzinome besteht auch im Rahmen anderer erblicher Tumorsyndrome. Insbesondere ist hier die häufigste Form von erblichem Darmkrebs (das so genannte HNPCC/Lynch-Syndrom) zu nennen, bei dem die Träger einer ursächlichen genetischen Veränderungen ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs, aber auch für Tumoren in der Gebärmutter, den Eierstöcken, dem Magen, dem Dünndarm, der Bauchspeicheldrüse, den ableitenden Harnwegen und für bestimmte Hauttumoren tragen. Auch bei verschiedenen gastro-intestinalen Polyposis-Syndromen ist ein erhöhtes Magenkarzinomrisiko beschrieben. Dies sind vor allem die Familiäre Adenomatöse Polyposis und das verwandte GAPPS (gastric adenocarcinoma and proximal polyposis of the stomach), die durch Mutationen im APC-Gen verursacht werden, sowie die Juvenile Polyposis (SMAD4- und BMPR1A-Gen) und das Peutz-Jeghers-Syndrom (STK11-Gen). Sehr selten liegt auch ein Li-Fraumeni-Syndrom zugrunde, das mit einem erhöhten Risiko für eine Vielzahl von Tumoren einhergeht.
Familiäres Magenkarzinom
In vielen Familien, in denen eine Häufung von Magenkarzinomen eine erbliche Ursache vermuten lässt, kann derzeit keine genetische Veränderung nachgewiesen werden. Es ist denkbar, dass in diesen Familien Varianten in bislang nicht bekannten Risikogenen für das familiäre Auftreten von Magenkarzinomen verantwortlich sind.
Der Nachweis eines erblichen Tumorsyndroms bei einem Patienten hat weitreichende Konsequenzen für seine weitere klinische Betreuung. Dies gilt zum einen für die Wahl des operativen Verfahrens, bei dem das hohe Risiko für Zweitkarzinome berücksichtigt werden muss. Zum an-deren benötigen auch gesunde Träger einer pathogenen CDH1-Mutation lebenslang eine intensivierte Vorsorge bezüglich Magenkarzinomen, bei Frauen zusätzlich bezüglich Mammakarzinomen. Um eine sinnvolle Früherkennung zu gewährleisten sind engmaschige Biopsien der Magen-wand notwendig, da diffuse Magenkarzinome im Frühstadium häufig innerhalb der Magenwand wachsen und endoskopisch nicht zu erkennen sind. Lange wurde von Experten-Netzwerken die prophylaktische Gastrektomie bei gesicherten Mutationsträgern als sinnvollste Maßnahme empfohlen. Inzwischen wird diese Empfehlung aufgrund der häufig begleitenden Einschränkung der Lebensqualität jedoch wieder vorsichtiger ausgesprochen. (1)
Quellen
(1.) van der Post RS, Vogelaar IP, Carneiro F, Guilford P, Huntsman D, Hoogerbrugge N, u. a. Hereditary diffuse gastric cancer: updated clinical guidelines with an emphasis on germline CDH1 mutation carriers. J Med Genet. Juni 2015;52(6):361-74.
Autor: Klinische Kompetenzgruppe Onkologie